Arbeitsplatzbeschreibungen
Mitarbeit: Dr. Marco Streibelt (DRV Bund, Berlin), Dr. Torsten Alles (iqpr, Köln)
Medizinische Reha-Maßnahmen, vor allem solche mit berufsbezogenem Schwerpunkt (MBOR), müssen sich an den Anforderungen des aktuellen oder angestrebten Arbeitsplatzes von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden orientieren. Arbeitsplatzbeschreibungen (z.T. auch Tätigkeitsbeschreibungen oder -profile genannt) werden benötigt, um die Anforderungen des Arbeitsplatzes des Rehabilitanden transparent zu machen und damit auch Diskrepanzen zwischen den Arbeitsplatzanforderungen und den vorhandenen Fähigkeiten von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden zu identifizieren.
Das Bestimmen dieser Diskrepanz zu den Fähigkeiten ist die Voraussetzung für eine effektive Therapieplanung in der Reha-Einrichtung und Grundlage für die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung zum Reha-Ende.
Daher ist es empfehlenswert und wichtig, Informationen zum Arbeitsplatz bzw. Arbeitsplatzbeschreibungen einzuholen.
Wo sind Arbeitsplatzbeschreibungen verfügbar?
Um an Informationen zum Arbeitsplatz einer Rehabilitandin/eines Rehabilitanden zu gelangen, haben Sie verschiedene Möglichkeiten, die mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen bezüglich der Datenqualität einhergehen.
Quellen für Arbeitsplatzbeschreibungen sind:
- Rehabilitandin/Rehabilitand
- Arbeitgebende, Betriebs- und Werksärztinnen und -ärzte
- Andere Instrumente und Materialien
Rehabilitandin/Rehabilitand
Die Erhebung der benötigen Informationen über den Arbeitsplatz erfolgt im Regelfall direkt bei Rehabilitandinnen und Rehabilitanden. In der täglichen Praxis werden diese zu Beginn der Reha-Maßnahme im Anamnesegespräch zu den beruflichen Anforderungen interviewt. Bei bestimmten Diagnosen bzw. Indikationen (etwa Neurologie) kann es aufgrund von Erinnerungslücken oder Fehleinschätzungen hilfreich sein, auch Angehörige in die Anamnese einzubinden. Vorteil der Befragung von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden im Rahmen der Anamnese ist, dass die benötigen Angaben direkt zu Beginn der Reha-Maßnahme vorliegen.
Manche Reha-Einrichtungen verschicken vor Maßnahmenbeginn einen Fragebogen an Rehabilitandinnen und Rehabilitanden, der von diesen selbst oder zusammen mit dem/der Arbeitgebenden ausgefüllt wird. Für Einrichtungen, die einen solchen Fragebogen oder Interviewleitfaden für das Anamnesegespräch entwickeln wollen, können entsprechende Formulare der Kostenträger als Orientierungshilfe nutzen. Allerdings können diese Formulare lediglich eine Ergänzung anderer Informationsquellen sein und die Grundlage für ein strukturiertes Interview bilden.
Bringen Rehabilitandinnen und Rehabilitanden Arbeitsplatzbeschreibungen zu Beginn der Reha mit, können diese eine wichtige Informationsquelle darstellen. Möglicherweise sind Fotos und/oder Filme vom Arbeitsplatz verfügbar, die mitgebracht werden können. Dafür ist das Einverständnis des/der Arbeitgebenden erforderlich (Datenschutz).
Strukturierte Befragungen sind überwiegend auch Bestandteil der gängigen FCE-Verfahren. So wird etwa im Rahmen einer EFL-Testung ein Interview geführt, in dem ein durchschnittlicher Arbeitstag geschildert werden soll, so dass die Therapeutinnen und Therapeuten ein Verständnis von den konkreten Anforderungen in bestimmten, hier meist körperlichen Bereichen bekommen. Meist werden die Interviews durch geschulte Ergo- bzw. Bewegungstherapeutinnen und -therapeuten durchgeführt. In bestimmten Indikationen kann es sinnvoll sein, auch Mitarbeitende des Sozialdienstes oder Ärztinnen und Ärzte einzubinden.
Arbeitgebende, Betriebs- und Werksärztinnen bzw. -ärzte
Angaben zu konkreten Belastungen am Arbeitsplatz können gegebenenfalls auch Arbeitgebenden und/oder Betriebsärztinnen und -ärzten angefordert werden.
Gerade die Potenziale einer besseren Kommunikation und Zusammenarbeit von Betriebs- und Werksärztinnen und -ärzten mit medizinischen Reha-Einrichtungen werden bei weitem noch nicht genutzt1. Beispielsweise können Gefährdungsbeurteilungen, die eigentlich zum Zweck des betrieblichen Arbeitsschutzes erstellt werden, für den Zweck der Arbeitsplatzbeschreibung herangezogen werden.
Liegen zu Reha-Beginn keinerlei Unterlagen über den Arbeitsplatz von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden vor, besteht auch die Möglichkeit, sich telefonisch mit dem/der Arbeitgebenden in Verbindung zu setzen. Das setzt das Einverständnis der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden zwingend voraus (Datenschutz).
Bei wohnortnahen Reha-Maßnahmen bestehen möglicherweise bereits gute Kontakte zu regionalen Arbeitgebenden und Betriebsärztinnen und -ärzten und/oder Kenntnisse der dortigen Arbeitsplätze. In Einzelfällen sind auch vor-Ort-Besichtigungen der konkreten Tätigkeit sinnvoll. Teilweise können solche engen Kooperationen auch dazu dienen, vergleichbare Arbeitsplatzbeschreibungen des jeweiligen Berufs zu erhalten, die dann im Gespräch mit dem Rehabilitanden spezifiziert werden.
Allgemeine Informationen zur Rolle von Werks- und Betriebsärztinnen und -ärzten im Rahmen der medizinischen Rehabilitation finden Sie auf den entsprechenden Seiten der DRV.
Einige regionale Träger der DRV arbeiten mit dem Deutschen Verband der Betriebs- und Werksärzte (DVBW) im Rahmen von Kooperationsvereinbarungen und -modellen zusammen:
- Kooperationsvereinbarung mit Werks- und Betriebsärztinnen und -ärzten in Norddeutschland (DRV Nord und Verband der Deutschen Werks- und Betriebsärzte DVBW in den Bundesländern Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg; für Versicherte der DRV Nord)
- Kooperationsvereinbarung mit Werks- und Betriebsärztinnen und -ärzten (DRV Oldenburg-Bremen und Verband der Deutschen Werks- und Betriebsärzte DVBW; für Versicherte der DRV Oldenburg-Bremen)
- Web-Reha (Kooperation DRV Rheinland mit Werks- und Betriebsärztinnen und -ärzten)
In den Kooperationsmodellen werden Formulare zur Verfügung gestellt, mit denen arbeitsplatzbezogene Informationen erhoben werden können:
- K8050 – Tätigkeitsbeschreibung (DRV Nord, Teil des Formularpakets „Ärztliche Unterlagen zum Reha-Antrag”)
- Arbeitsplatz-Profil (DRV Oldenburg-Bremen, Teil des Formularpakets „Formulare für Betriebs- und Werkärzte”)
Weniger geeignet sind als alleinige Informationsquelle die Informationen auf den Internetseiten der Arbeitgebenden. Auch Recherchen bei anderen Arbeitgebern aus derselben Branche sind aufgrund der geringen Vergleichbarkeit eher nicht zu empfehlen.
Andere Instrumente und Materialien
Verschiedene Formulare bzw. Fragebögen können herangezogen werden, um Angaben und Informationen zum Arbeitsplatz von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden zu erfassen oder zu erfragen (z.B. als Grundlage für eigene Checklisten oder anamnestische Befragungen).
Worauf ist bei Arbeitsplatzbeschreibungen zu achten?
Abgleich von Fähigkeiten und Anforderungen ermöglichen
Die Art und Weise, wie Arbeitsplatzinformationen dokumentiert werden, ist von entscheidender Bedeutung. Wichtig ist, dass die verwendete Dokumentationsform einen möglichst direkten Vergleich des diagnostizierten Leistungsbildes mit den Arbeitsplatzinformationen erlaubt.
In der MBOR empfehlen sich Profilvergleichsverfahren ganz besonders. Zum Beispiel erlaubt das Profilvergleichsverfahren IMBA einen Abgleich zwischen Fähigkeiten und Anforderungen bei allen Rehabilitandinnen und Rehabilitanden unabhängig von Indikation oder beruflicher Tätigkeit.
Datenqualität
Die Datenqualität ist abhängig von verschiedenen Faktoren:
Informationsquelle (Rehabilitandin/Rehabilitand, Arbeitgebende, Kostenträger)
Rehabilitandin/Rehabilitand
- überschätzt die Dauer und Schwere der Belastung am Arbeitsplatz häufig (beispielsweise Angaben zum Gewicht beim Heben von Patientinnen und Patienten in der Altenpflege2) oder
- vergisst einzelne Tätigkeiten zu benennen, wenn die Arbeitsunfähigkeit bereits länger vorliegt.
Um die Erinnerung an die Anforderungen zu verbessern, kann während der Anamnese, falls vorhanden, die Internetseite des Arbeitgebenden als Hilfestellung für Rehabilitandinnen und Rehabilitanden eingebunden werden.
Auch vergleichbare Arbeitsplätze bei kooperierenden Betrieben in der Umgebung können eine Hilfestellung sein.
Die Befragung von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden hat den Vorteil, dass subjektive Belastungen erkannt werden, die für Arbeitgebende ggf. einen ganz anderen Stellenwert haben. Dies kann eine nützliche Quelle bei der Therapieplanung sein.
Arbeitgebende
Die Angaben der Arbeitgebenden über die tatsächlichen Belastungen am Arbeitsplatz von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden – z. B. durch den betriebsärztlichen Dienst – sind meist als reliabler anzusehen, wenn die fachlich bzw. personell Zuständigen die Angaben zur Arbeitsplatzbeschreibung machen (z.B. direkte Vorgesetzte, die Aufgaben vergeben oder überwachen und nicht allgemeine Aussagen der Personalabteilung).
Art des Erhebungsinstruments (schriftlich/mündlich, strukturiert/unstrukturiert)
Für die Erhebung der Bedingungen am Arbeitsplatz von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden existiert kein einheitliches Instrument. Grundlage können die o.g. Formulare sein, wobei diese recht grob strukturiert sind. Die Formulare unterscheiden sich nach
- Verwendungszweck (Antragstellung, ärztlicher Befundbericht, Aufnahme- und Entlassungsbericht der Reha-Einrichtung)
- Struktur (Detaillierungsgrad und Klassifikation beruflicher Anforderungen)
- Art ihrer Erfassung (ärztliches Anamnesegespräch, eigens von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden oder Hausärztinnen bzw. -ärzten auszufüllende Angaben).
Zum Thema Arbeitsplatzbeschreibungen enthalten die Formulare der Kostenträger überwiegend Angaben über
- Arbeitshaltung/Art der Tätigkeit
- Arbeitsorganisation/regelmäßige Arbeitszeit
- äußere Einflüsse
- berufliches Kraftfahren
- sonstiges (z.B. Anforderungen an Konzentration und Verantwortung).
Weitere für die erfolgreiche Wiedereingliederung relevante berufliche Einflussfaktoren sollten strukturiert im (anamnestischen) Gespräch mit Rehabilitandinnen und Rehabilitanden oder bei der Befragung von Arbeitgebenden erhoben werden. Dazu zählen z. B.:
- Arbeitsabläufe
- Hilfsmittel am Arbeitsplatz (bspw. technische Hilfen)
- die Stellung im Beruf
- psychosoziale Anforderungen
Qualifikation der Beteiligten
Für die Anamnese ist neben der Qualität der Angaben der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden die Qualifikation der Befragenden entscheidend:
- Welche Berufsgruppen führen die berufsbezogene Anamnese durch?
- Verfügen diese Berufsgruppen über relevante Kenntnisse (z.B. in FCE-Verfahren, Berufskunde)
Möglichkeiten zum Ausbau berufskundlicher Kompetenzen sind
- Hospitationen von Klinikmitarbeiterinnen und -mitarbeitern in Berufsförderungszentren/-werken sowie
- entsprechende Fortbildungsveranstaltungen.
Datenschutz
Fotos oder Videos vom Arbeitsplatz
Werden Rehabilitandinnen und Rehabilitanden im Einladungsschreiben gebeten, z.B. Fotos oder Videos vom Arbeitsplatz mitzubringen, ist darauf hinzuweisen, dass die Arbeitgebenden dazu ihr Einverständnis erklären müssen.
Weitergabe des Entlassungsberichtes durch die Klinik
Für eine Kontaktaufnahme der Reha-Einrichtung mit den Arbeitgebenden oder Betriebsärztinnen und -ärzten ist das Einverständnis der betroffenen Rehabilitandinnen und Rehabilitanden erforderlich. Auch die Weitergabe des Entlassungsberichtes durch die Einrichtung an Betriebsärztinnen bzw. -ärzte muss von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden erlaubt werden. Sie können ihr Einverständnis verweigern.
Des Weiteren ist gegenüber Arbeitgebenden und Dritten sensibel mit den Sozialdaten der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden umzugehen.
Was sind Berufsprofile?
Im Unterschied zu Arbeitsplatzbeschreibungen enthalten Berufsprofile
- allgemeine Informationen zu Aufgaben
- Informationen zu erforderlichen Kompetenzen
- Informationen zu Arbeitsbedingungen eines bestimmten Berufsbilds.
Im Internet sind Berufsprofile zum Beispiel zu finden in der Datenbank BERUFENET der Bundesagentur für Arbeit. Kompetente Ansprechpersonen für neue Berufsbilder finden Sie auch bei den regionalen Berufsförderungswerken und Berufsförderzentren.
Berufsprofile können als Hinweise für mögliche Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben hilfreich sein, v.a. für die folgenden Gruppen:
- Bei Rehabilitandinnen und Rehabilitanden, bei denen die Arbeitsfähigkeit in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit oder dem Beruf nicht mehr eintritt, können Berufsprofile Anhaltspunkte für Maßnahmen beruflicher Anpassung und Weiterbildung sowie betrieblicher Qualifizierung darstellen.
- Wenn Schülerinnen und Schüler oder Auszubildende aus gesundheitlichen Gründen einen sog. leidensgerechten Ausbildungsberuf erst noch erlernen bzw. in einen wechseln müssen, können Berufsprofile der beruflichen Orientierung (beruflicher Ausbildung) dienen.
Berufsprofile können auch hilfreich sein
- für die Gestaltung klinikinterner Übungsarbeitsplätze für Rehabilitandinnen und Rehabilitanden,
- als Grundlage für ein strukturiertes Interview mit Rehabilitandinnen und Rehabilitanden zu den individuellen Anforderungen am Arbeitsplatz sowie
- als Basis für eine näherungsweise Diagnostik bei Rehabilitandinnen und Rehabilitanden ohne Arbeitsplatz (z.B. bei Arbeitslosigkeit).
In Deutschland gibt es darüber hinaus keine umfassende Datenbank zu den Charakteristika von Berufen bzw. Tätigkeiten, eine solche ist jedoch für die USA vorhanden (Occupational Information Network, O*NET; Förderer: US-Arbeitsministerium/U.S. Department of Labor). Die dort vorhandenen Angaben können ggf. in modifizierter Form als Ausgangspunkt für die Erfassung arbeitsplatz- bzw. tätigkeitsbezogener Informationen herangezogen werden.
Quellenangaben